140 Jahre Betriebskrankenkasse
Ein Streifzug durch die Geschichte der Merck BKK
Eine Reise durch Vertrauen, Verantwortung und Fürsorge.
Unsere gemeinsame Geschichte basiert auf der Idee der Familie Merck eine eigene Krankenkasse für alle Merck Mitarbeiter zu gründen. Seit dieser Gründung im Jahr 1884 haben wir uns der Gesundheit und dem Wohlbefinden unserer Mitglieder, deren Familien und Rentner verschrieben. Diese Verantwortung leben wir seit jeher mit großem Engagement und geben es von Generation zu Generation weiter bis zum heutigen Tag. Unser aktueller Claim „Unser Anspruch bist Du.“ hätte auch bereits wunderbar vor 140 Jahren gepasst.
Gegründet wurden wir damals mit dem etwas sperrigen Namen „Kranken-Casse der Chemischen Fabrik E. Merck zu Darmstadt“. Unsere kleine Geschäftsstelle mit wenigen Mitarbeitern befand sich damals noch in der Mühlstraße 33 (heute Nähe Jugendstilbad). Mit etwas über 300 Versicherten ging es los; heute sind es bereits über 34.000.
Die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Wir haben technologische Fortschritte, medizinische Durchbrüche und gesellschaftliche Umwälzungen erlebt. Doch eines hat sich nicht verändert: unser tiefes Anliegen, Ihnen und Ihren Familien in allen Lebenslagen als Krankenkasse bestens zur Seite zu stehen. Die Werte der Merck BKK sind das Fundament für Vertrauen und einer erfolgreichen Zeit.
Jede Begegnung ist einzigartig, und so auch jede persönliche Geschichte oder Schicksal, die unsere BKK-Belegschaft Tag für Tag mit unseren Versicherten teilt. Geschichten von Vertrauen, Unterstützung und Fürsorge, die uns täglich motivieren, unsere Aufgabe gut zu machen und jeweils ein Stück besser zu werden. Da ist die junge Familie, die durch unsere Unterstützung in schwierigen Zeiten neuen Mut schöpfen konnte, die ältere Dame, die dank unserer Gesundheitsprogramme wieder neuen Lebensenergie fand oder einfach nur der Sportler, der nach seinem Skiunfall wieder schnell auf die Beine kam. Diese Geschichten sind der Herzschlag unserer Arbeit und zeigen, was für uns wirklich zählt: der Mensch.
So ist ein Jubiläum auch ein kurzer Moment des Innehaltens und des Dankens. Wir danken Ihnen, unseren treuen Mitgliedern, für Ihr Vertrauen und Ihre Treue. Wir danken unseren Mitarbeitern, deren Engagement die Basis unseres Erfolgs sind. Wir danken allen Partnern und Unterstützern, die uns auf diesem langen Weg begleitet haben. Und wir danken der Familie Merck, die schon damals eine richtig gute Idee hatte, uns zu gründen! Die Merck BKK.
Nach dem kurzen Innehaltens richtet sich der Blick aber auch schon wieder nach vorn. Wir bleiben innovativ und an Ihrer Seite, um den Herausforderungen der Zukunft mit ebenso viel Engagement und Herz zu begegnen wie in den vergangenen 140 Jahren.
Von Herzen sagen wir Danke und wünschen Ihnen und uns weitere viele gesunde und gute Jahre!
Ihre Merk BKK
Gründung
„Die vorstehenden Statuten der Kranken-Casse der Chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt werden hiermit auf Grund des § 24 des Reichsgesetzes vom 15. Juni 1883 genehmigt.“
Mit dieser Mitteilung des Großherzoglichen Kreisamts Darmstadt beginnt am 18. Oktober 1884 die Geschichte der Merck BKK. Die Gründung der Krankenkasse ist eine Reaktion auf das 1883 vom Reichstag verabschiedete Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter. Dieses sieht einen Versicherungszwang, die Selbstverwaltung der Kassen, eine Teilung der Beitragslast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie Leistungen wie Kranken- oder Sterbegeld vor. Das Gesetz ist ein wichtiger Bestandteil der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung. Im ganzen Land entstehen daraufhin Orts-, Betriebs-, Fabrik- oder Innungskrankenkassen. Allein in Darmstadt werden neun Betriebskrankenkassen gegründet
Erste Satzung der Betriebskrankenkasse, 1884 Merck-Archiv Y1-10483
Protokoll der ersten Vorstandssitzung, 1884 Merck-Archiv Y1-1497
Gegründet wird die Merck BKK als „Kranken-Casse der Chemischen Fabrik von E. Merck zu Darmstadt“. Anfangs hat sie ihren Sitz in der Mühlstraße 33, ungefähr dort, wo heute das Jugendstilbad am Mercksplatz steht. 1904 wird sie in „Betriebskrankenkasse der Firma E. Merck“ umbenannt und zusammen mit der gesamten Fabrik aus der Stadt heraus in den Norden Darmstadts verlegt. Dort erhält sie Räume in einem repräsentativen Turmgebäude in der Frankfurter Straße 250. 1971 zieht sie in einen nahe gelegenen Möbelhof, 2004 in ein Bürogebäude in der Frankfurter Straße 133. Seit 2014 hat die Betriebskrankenkasse, die 2016 ihren Namen von „BKK Merck“ in „Merck BKK“ ändert, ihren Sitz in der Frankfurter Straße 129.
Name und Sitz
„Das Büro der Krankenkasse und der Lohnverrechnung bestand aus zwei Zimmern, und zwar aus einem länglichen schmalen und aus einem etwas größeren quadratischen Zimmer und war in der Fabrik I, Mühlstraße 33 untergebracht.“
Erster Sitz der „Kranken-Casse der Chemischen Fabrik von E. Merck zu Darmstadt“, 1899 Merck-Archiv Y1-23634
Eingangsbereich an der Frankfurter Straße mit „Pützer Turm“, um 1905 Merck-Archiv Y1-19284
Generalversammlung und Vorstand
„Die Mitgliedschaft im Vorstande ist ein Ehrenamt, für dessen Bekleidung keine Entschädigung gewährt wird.“
Von Anfang an können die Mitglieder die Geschicke ihrer Krankenkasse mitbestimmen. Dazu entsenden sie Vertreter in die Generalversammlung, die dort gemeinsam mit den Delegierten der Fabrik die Jahresrechnung abnehmen, Satzungsänderungen beschließen, Vorstandsmitglieder berufen oder über Beschwerden der Versicherten beraten. Für die Generalversammlung „wahlberechtigt und wählbar sind die großjährigen, im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte befindlichen Cassenmitglieder.“ Gerichtlich und außergerichtlich wird die Kasse durch den Vorstand vertreten. Dieser ist für alle Geschäfte zuständig, die nicht ausdrücklich der Generalversammlung vorbehalten sind. Vorsitzender des Vorstands ist der Fabrikbesitzer, der zwei Beisitzer ernennt. Sechs weitere Beisitzer werden von den Vertretern der Kassenmitglieder bestimmt. Der Vorstand wählt unter seinen Mitgliedern einen Schriftführer, einen stellvertretenden Schriftführer, zwei Revisoren sowie „alljährlich dasjenige seiner Mitglieder, welches in Gemeinschaft mit dem Fabrikbesitzer die Casse zu vertreten hat, und ordnet die Verteilung der sonstigen Geschäfte“.
Sitzung der Betriebskrankenkasse, 1950er Jahre Merck-Archiv Y1-5483-2
Sitzung der Vertreterversammlung der Betriebskrankenkasse, 1986 Merck-Archiv Y1-5494
In den Anfangsjahren ist die Zahl der Mitarbeiter überschaubar: 1904 werden die Geschäfte der Krankenkasse „mit zwei Gehilfen und 3 Lehrlingen unter der Oberführung des Rechners bewältigt“. Dieser „Rechnungs- und Cassenführer“ kümmert sich um die Ausgaben, „hat für den pünktlichen Eingang aller der Casse zustehenden Einnahmen zu sorgen und nötigenfalls dem Vorstand der Verfolgung der weiteren Ansprüche Anzeige zu erstatten.“ Geld, das nicht für den laufenden Betrieb benötigt wird, ist „in der städtischen Sparkasse zu Darmstadt oder wie die Gelder Bevormundeter anzulegen“. Bemerkenswert sind die von Anfang an geringen Verwaltungskosten: 1911 betragen diese zwei, 1936 gerade einmal 0,6 Prozent des Gesamtetats. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei, dass die Gehälter der Mitarbeiter nicht von der Krankenkasse selbst, sondern von dem Unternehmen bezahlt werden. Auch sonst wird auf Ausgabendisziplin geachtet. So weist die Kasse 1958 per Rundschreiben darauf hin, dass Mitglieder bei mehrmaligem Aufsuchen eines Facharztes „durch Lösen von Sechserkarten oder Fahrscheinheften diese Kostenersparnis ausnutzen“ müssen.
Mitarbeiter
„Das Büro wurde mittwochs und samstags unter Mittag von einer Arbeiterin vom Betrieb aufgewaschen. Abstauben und Instandhalten der Schreibunterlagen musste von den Lehrlingen besorgt werden.“
Personal der Betriebskrankenkasse, 1908 Merck-Archiv Y1-ps-88
Mitarbeiterin der Betriebskrankenkasse, 1984 Merck-Archiv Y1-10475-3
Mitglieder
„Der Casse als Mitglieder beizutreten verpflichtet sind alle in der genannten Fabrik beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen, einschließlich der Betriebsbeamten, soweit nicht deren Gehalt mit Einrechnung der Tantiemen und etwaigen Naturalbezüge den Betrag von 2000 Mark jährlich übersteigt.“
In den ersten Statuten der Krankenkasse, die 1884 von der Firma „nach Anhörung der in ihrer Fabrik zu Darmstadt beschäftigten Personen“ aufgestellt werden, wird die Beitrittspflicht für alle Mitarbeiter festgelegt. Der Fabrikbesitzer muss dafür sorgen, dass jeder neue Mitarbeiter bei der Betriebskrankenkasse angemeldet wird. Nur diejenigen, die bereits bei einer anderen Kasse versichert oder aufgrund ihres hohen Einkommens von der Versicherungspflicht befreit sind, müssen nicht beitreten. Letztere können freiwillig Mitglied werden, müssen jedoch zuvor „ihren Gesundheitszustand durch den Cassenarzt untersuchen lassen und ein Zeugnis über diese Untersuchung“ vorlegen. 1899 wird auch in der „Arbeits-Ordnung für die Arbeiter der Chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt“ die Pflichtmitgliedschaft festgeschrieben: „Sämtliche Arbeiter der Fabrik sind zum Eintritt in die unter obrigkeitlicher Controle stehende Betriebskrankenkasse verpflichtet. Nur diejenigen, welche bereits einer, den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Hilfskasse angehören, brauchen nicht Mitglied der Betriebskrankenkasse zu werden“. 1921 ist nicht einmal mehr ein Beitritt nötig – die Aufnahme erfolgt automatisch: „Der Arbeitnehmer empfängt bei seinem Eintritt einen Abdruck der Arbeitsordnung und eine Satzung der Betriebskrankenkasse, in welche er mit seinem Eintritt aufgenommen wird“.
Regelung der Mitgliedschaft, 1884 Merck-Archiv Y1-10483 (Detail)
Anmeldung zur Aufnahme in die Betriebskrankenkasse, 1916 Merck-Archiv Y1-11729-2
Eine wichtige Aufgabe der Kassenärzte ist das Krankschreiben der Mitarbeiter: „Wenn ein Mitglied erkrankt, so hat dasselbe hierüber dem Vorstande Anzeige zu erstatten, welcher zunächst die Untersuchung durch den Cassenarzt anordnet. Das Zeugnis des Letzteren über den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ist für die Berechnung des Beginnes der Krankenunterstützung maßgebend“. Anfangs gibt es für Darmstadt, Bessungen und Arheilgen nur jeweils einen zugelassenen Kassenarzt. 1898 wird für einige Bezirke eine beschränkte Ärztewahl eingeführt. Hier kann sich das Mitglied selbst einen Arzt aussuchen, der dann – verbindlich für ein Jahr – als Kassenarzt für ihn und seine Familie fungiert. 1911 gibt es innerhalb des Kassenbezirks 42 praktische Ärzte, neun Spezialärzte, fünf Zahnärzte und acht Dentisten, die in entsprechenden Listen aufgeführt werden. Das Honorar der Ärzte wird meist pauschal geregelt. So erhalten Kassenärzte 1911 für verheiratete Mitglieder pro Familie und Jahr 12 Mark, für ledige Mitglieder 3,75 Mark. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Tagelohn „für gewöhnliche Tagearbeiter“ beträgt damals in Darmstadt 3 Mark. Konsultationen bei Fachärzten sind nur mit speziellen Legitimationskarten der Krankenkasse möglich: „Die spezialärztliche Hülfe ordnet der Kassenarzt durch Rezept an, welches dem Vorstande zur Verifizierung vorzulegen ist“.
Kassenärzte
„In Anbetracht der allgemeinen Erregung sämtlicher Ärzte Deutschlands gegen die Krankenkassen sah sich der Vorstand genötigt, die erhöhten Honorarsätze zu bewilligen.“
Anfrage der Krankenkasse über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, 1903 Merck-Archiv Y1-10473
Mitgliederkrankenschein für ärztliche Behandlung, 1959 Merck-Archiv Y1-05485
Fabrikarzt
„Ferner muss jeder eintretende Arbeiter das Zeugnis von dem Fabrikarzte einbringen, dass er gesund und frei von körperlichen Fehlern sei.“
Laut „Fabrik-Ordnung für die Arbeiter der chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt“ von 1884 ist für Einstellungsuntersuchungen der Fabrikarzt zuständig. Erwähnt wird ein solcher Arzt bereits in einem Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1853: „Wird der Arbeiter durch die Arbeiten oder besondere Zufälligkeiten im Geschäft krank, und ist diese Krankheit nicht durch eigene Unvorsichtigkeit herbeigeführt, dauert mindestens vier Tage und ist vom jetzigen Fabrikarzt dieselbe wirklich als solche erkannt, so erhält derselbe seinen vollen Lohn fort“. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es bei Merck also bereits dreißig Jahre vor Errichtung der Krankenkasse.
Sanitätsbereich/Werkärztliche Abteilung: Übung in Unfallstation, 1927 Merck-Archiv Y1-sg-3-1
Lehrlinge bei Einstellungsuntersuchung in Werkärztlicher Abteilung, 1968 Merck-Archiv Y1-sg-30-2
Ein Jahr nach Gründung der Kasse beschließt der Vorstand, dass sämtliche Arznei-, Heilund Stärkungsmittel ausschließlich aus der Darmstädter Engel-Apotheke (E. Merck’sche Apotheke) bezogen werden dürfen – eine Entscheidung, die aufgrund der engen Verflechtung zwischen Unternehmen und Apotheke nicht wirklich überrascht. Lediglich in besonders eiligen Fällen dürfen die Patienten die benötigten Mittel aus anderen Apotheken beziehen. Mehrmals verwendbare Gefäße wie Gläser sind nach Gebrauch zu reinigen und unverzüglich in die Apotheke zurückzubringen.
Arznei-, Heil- und Stärkungsmittel
„Alle Arzneien, Verbandstoffe, sowie chirurgische und medizinische Hilfsmittel und Apparate, welche von den Herren Fabrikärzten für Mitglieder der Fabrik-Krankenkasse verordnet werden, sollen, außerordentliche dringende Fälle ausgenommen, aus der E. Merck’schen Apotheke geholt werden.“
Rundschreiben über Bezug von Medikamenten aus der E. Merck’schen Apotheke, 1885 Merck-Archiv Y1-10471
Werbung für preisgünstige MBK-Produkte für die Krankenkassenpraxis, 1917 Merck-Archiv W38-302
Krankengeld
„Bei Krankheiten, welche ein Mitglied sich durch schuldhafte Betheiligung bei Schlägereien oder Raufhändeln oder durch Trunkfälligkeit zugezogen hat, kann das Krankengeld nach Ermessen des Vorstandes bis zur Hälfte gekürzt werden.“
Viele Bestimmungen der ersten Kassenstatuten sind – wenigsten sinngemäß – bis heute aktuell, darunter die Zahlung des Krankengelds. Dieses wird bereits 1884 vom Tage der Erkrankung an für jeden Arbeitstag und jeden auf einen Wochentag fallenden Feiertag bezahlt – für die ersten 13 Wochen in Höhe von 60 Prozent und für weitere 13 Wochen in Höhe von 40 Prozent des gewöhnlichen Verdienstes. Als 1904 in einem Krankenversicherungsgesetz die Erhöhung der Unterstützungsdauer von 13 auf 26 Wochen gesetzlich festlegt wird, muss Merck also gar nicht reagieren – hier gilt diese Regelung bereits seit 20 Jahren. Das Krankengeld wird zunächst wöchentlich, ab 1959 monatlich ausbezahlt.
Einführung von Sprechstunden zur Auszahlung des Krankengelds, 1947 Merck-Archiv Y1-10470
Krankengeldauszahlung, 1959 Merck-Archiv Y1-30723
1892 berichtet Willy Merck auf einer Vorstandssitzung der Krankenkasse, dass durch verschiedene Zuwendungen des Unternehmens und der Familie Merck insgesamt 20000 Mark zusammengekommen sind. Mit den Zinsen daraus wird eine Unterstützungs- und Pensionskasse finanziert. Diese wird dann tätig, wenn die Krankenkasse aufgrund gesetzlicher Regelungen nicht herangezogen werden darf. So unterstützt sie Arbeiter, die länger als 26 Wochen krank sind, kümmert sich um Wöchnerinnen oder bezahlt „ärztlich verordnete Nähr- und Stärkungsmittel wie: Wein, Cognac, Fleischpepton, Fleischextrakt, Rahmgemenge, Tokayer, Cacao, Milch, Eier, Ochsenfleisch und ähnliche Mittel.“
Mehrleistungen
„In dem unausgesetzten Bestreben der Firma E. Merck, ihren Arbeitern und deren Familien in Notfällen beizustehen …“
Indirekt beteiligen sich auch die Mitarbeiter an der Finanzierung von Extraleistungen. So wird 1906 in der „Arbeits-Ordnung für die Arbeiter der Chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt“ festgelegt: „Alle Geldstrafen, welche nicht als Entschädigung für verdorbene Waren oder leichtsinnig verursachten Schaden gelten, werden am Löhnungstage vom Lohn in Abzug gebracht und dem Vorstande der Betriebskrankenkasse zur Verfügung gestellt und von demselben zu Leistungen, welche über das gesetzliche Maß der Krankenkasse hinausgehen, verwendet.“
Als der Gesetzgeber 1930 Mehrleistungen der Krankenkassen einschränkt, wird bei Merck die fortan eigentlich unzulässige Familienhilfe nicht etwa gestrichen, sondern kurzerhand zur zwangsmäßigen Regelleistung erklärt. In anderen Fällen übernimmt das Unternehmen Aufgaben der Krankenkasse, da die Werksangehörigen und deren Familienmitglieder nicht unter den Sparmaßnahmen leiden sollen. Kommuniziert wird dieses Vorgehen nicht, „da sich für die Kassenmitglieder nichts ändert und es sich nur um eine interne Verrechnung zwischen Firma und Krankenkasse handelt“.
Rechnung über „42 Schoppen Milch“, 1911 Merck-Archiv Y1-10474
Arbeits-Ordnung für die Arbeiter der Chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt, 1906 Merck-Archiv W20-4-003
Kampf gegen Simulanten
„Alle verständigen Mitarbeiter aber werden dringend gebeten, den Vorstand der Kasse unter allen Umständen auf Kräftigste zu unterstützen in der Art, dass sie ihm alle Verfehlungen, Ausbeutungen, Betrugsfälle unverzüglich melden.“
Vor allem in den 1920er Jahren erlässt die Betriebskrankenkasse regelmäßig Bekanntmachungen, in denen sie die „wüsten Ausbeutungen“ anprangert, die ihr durch Simulanten entstehen. Als Anfang 1924 der Krankenstand von durchschnittlich 100 auf 300 Personen ansteigt, „darunter in großer Zahl Mitglieder, die ihre Krankheit simulieren“, wird das gesamte Jahresbudget sowie ein Zuschuss der Firma bereits im ersten Quartal vollständig verbraucht. Drohungen mit Leistungskürzungen, Beitragserhöhungen und strafrechtlichen Folgen verhallen allem Anschein nach ungehört.
Regeln für die Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, 1948 Y1-10468
Aufforderung zur wahrheitsgetreuen Schilderung von Unfallmeldungen, 1956 Y1-10469
In den ersten Jahrzehnten ist der Krankenstand bei der Betriebskrankenkasse gering: So sind die Versicherten 1911 durchschnittlich 11,5 Tage im Jahr krank, während es bei Betriebskrankenkassen insgesamt im Schnitt 18 Tage sind. Häufig sind Erkrankungen der Atmungsorgane, Augenentzündungen, Rheuma, Bleichsucht oder Schnittwunden. Simulationen kommen „nur in ganz geringer, in keinem Verhältnis zu anderen Kassen stehender Anzahl vor, was allerdings auch auf die in zweckmäßiger Weise ausgeübte Krankenkontrolle zurückzuführen ist“. Diese Kontrolle wird seit 1884 durch sogenannte „Krankenbesucher“ durchgeführt. Diese sollen sich vom Zustand des Kranken überzeugen mit der Maßgabe, „dass männliche Kranke nur von den männlichen, weibliche nur von den weiblichen Krankenbesuchern zu besuchen sind“. 1976 wird der Besuch von Arbeitsunfähigen durch Außendienstmitarbeiter neu geregelt. Künftig sollen die von der Kasse beauftragen Krankenbesucher die Kranken beraten und ihre Wünsche an die Kasse weitergeben: „Die bisherige Überwachungsfunktion des Außendienstmitarbeiters entfällt“.
Krankenbesucher
„Zur Überwachung der erkrankten Mitglieder werden von der Generalversammlung aus der Mitte der Mitglieder acht Krankenbesucher gewählt, und zwar sechs männlichen und zwei weiblichen Geschlechts. Dieselben haben, wenn sie Ordnungswidrigkeiten wahrnehmen, durch welche die Interessen der Casse geschädigt werden könnten, dem Vorstande sofort Anzeige zu erstatten.“
Instruktion eines „Krankenbesuchers“ vor einer Kontrollfahrt, 1961 Merck-Archiv Y1-5490-1
Ausgehzeiten
„ … machen wir darauf aufmerksam, dass entgegen den Bestimmungen mancher Ärzte, die Ausgehzeit für alle Mitglieder, wenn überhaupt ärztlicherseits Ausgang erlaubt ist, in den Monaten Oktober bis einschließlich April nur von vormittags 10 bis nachmittags 4 Uhr und in den Monaten Mai bis einschließlich September nur von 8-12 Uhr vormittags und von 2-4 Uhr nachmittags gestattet ist.“
Auch die Festlegung von Ausgehzeiten kann im Zusammenhang mit dem Kampf gegen schwarzarbeitende Simulanten gesehen werden. Allerdings werden nur selten Strafen wegen Übertretung der Krankenordnung verhängt: 1949 sind es nur vier, obwohl im gesamten Jahr fast 3000 Krankenbesuche durchgeführt werden. 1952 fällt ein Patient auf, „der an zwei Abenden während der Kirchweih Gaststätten aufsuchte und sogar musizierte, während er krankgeschrieben war“. 1954 werden Geldbußen verhängt, „da die Versicherten während ihrer Arbeitsunfähigkeit Holz gesägt haben, Auto gefahren sind, Wirtschaften besuchten, die Ausgehzeit überschritten oder ohne Genehmigung den Kassenbezirk verließen“.
Präsentation von Arbeitsunfähigkeitsstatistiken, 1953 Merck-Archiv Y1-5483-1
Vor allem im frühen 20. Jahrhundert sind die Aufgaben der Betriebskrankenkasse ungeheuer vielfältig. So werden 1903 alle Arbeiten zur Lohnbe- und -abrechnung zentralisiert und aus versicherungstechnischen Gründen der Krankenkasse angegliedert. Fortan werden dort sämtliche Personalangelegenheiten für Arbeiter und Angestellte erledigt: Ausgabe von Arbeitsbüchern, Anfertigung von Zeugnissen und Bescheinigungen sowie Abnahme der Schlüssel zu den Kleiderschränken bei austretenden Mitarbeitern, Anfertigung von Lohnlisten, Auszahlung der Gehälter usw. Erst 1928 werden aus Zweckmäßigkeitsgründen die Lohnabteilung und die Krankenkasse voneinander getrennt. Weitere Tätigkeiten der Betriebskrankenkasse in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens sind das Anmelden von Fremden und die Einführung von Geschäftsreisenden, die Pflege des Verzeichnisses der Arbeiterwohnungen, die Mitarbeit in der Unfallstation, die Verwaltung von Pferden und Schafen nebst Futter, Pferdegeschirr, Fahrzeugen und Fahrern sowie die Ausgabe von ermäßigten Badekarten. „Alles, was später auf mehrere Abteilungen verteilt wurde, war noch in der Betriebskrankenkasse vereinigt. Die Betriebskrankenkasse war somit tatsächlich die Zusammenfassung sämtlicher Sozialeinrichtungen.“
Vielfältige Aufgaben
„Was gab es sonst noch auf der Krankenkasse: Einsammeln der ärztlichen Verordnungen und der Privataufträge der Werksangehörigen für die Apotheke Merck, Beschaffung von verbilligten Seefischen, Schlichtung von Streitigkeiten, Schuldnerberatung, Ausgabe von abonnierten Büchern, Abgabe von Theaterkarten, Abgabe von Zahnbürsten zum Einkaufspreis, Abgabe von Hosenträgern und Handschuhen ...“
Eingang zu Lohnabteilung und Krankenkasse, um 1928 Merck-Archiv Y1-895 (Detail)